Ich habe das Gefühl, alles auf einmal spüren zu wollen. Alle längst überfälligen Gefühle in mir aufgehen zu lassen. Ich spüre Angst, Traurigkeit, Freude, Glück, aber auch Einsamkeit. Jetzt – endlich – gehen sie auf und ich kann beschreiben, wie es mir geht. Ich habe in der letzten Zeit viel nicht wahrnehmen wollen, zu viel um es in Worte zu fassen. Ich habe eine langfristige Beziehung beendet, ich vermisse meine besten Freundinnen von ganzem Herzen und ich vermisse meinen Vater. Für all’ das hatte ich keine Zeit – und wohl auch keinen Mut.
Jetzt
gerade sitze ich endlich im Zug von Bremen nach Hamburg, um dann anschließend
in den Bus nach Berlin zu steigen. Dann werde ich ankommen, aussteigen, ganz
tief durchatmen und fühlen, dass ich lebe. Ich habe es sehr vermisst. All’ das.
In der letzten Zeit war ich durch mein Studium sehr eingespannt, hatte wenig
Zeit für mich und auch kein Geld, um wirklich etwas zu unternehmen. Jetzt ist
das erste Mal seit langem, dass ich alleine für mich bin. Ohne Freund, ohne
Stress ohne Zeitdruck. Nur ich. Ich hatte ganz vergessen, wie sich das anfühlt.
Vielleicht
ist es die Vorfreude auf den Sommer, vielleicht das Bewusstsein der Freiheit,
welches sich nach und nach in meinem Kopf ausbreitet. Ich habe keine
Verpflichtungen anderen Menschen gegenüber. Das war sehr, sehr lange nicht der
Fall. Ich freue mich auf das, was kommt und ich bin froh um das was war, etwas
Nostalgie gemischt mit den ersten Sonnenstrahlen und zu viel Kaffee.
Ich
habe auch lange nicht mehr in dieser Form geschrieben. Einfach so. Für mich.
Etwas, das ich mir nach und nach zurück erobern möchte.
Meine
Freundinnen sagen, nach einer Trennung bräuchte man etwas nur für sich. Ich
habe erst an Boxen gedacht, dann habe ich überlegt, ob ich verrückt bin. Sich
neu zu erfinden ist super, aber das? Ehrlich? Ich habe nachgedacht und
festgestellt, dass ich das letzte Mal 2011 in dieser Form geschrieben habe. Ich
kann es wohl am besten, wenn ich traurig bin. Nur statt meine Gefühle zu
vergraben und als nichtig zu bezeichnen, drücke ich mich jetzt aus. Ganz
einfach, ehrlich und ursprünglich.
Vielleicht
ist jetzt der richtige Zeitpunkt, es noch einmal zu versuchen.
Ich
versuche gar nicht erst, diesen Text zu strukturieren. Die Gedanken fließen
einfach. Fünf Minuten – eine Seite.
Anscheinend
kommt man mit 20 noch einmal in eine Selbstfindungsphase. Eine, die einen
komplett vom Hocker reißt und alles, an das man geglaubt hat, komplett
umkrempelt. Vielleicht brauche ich das jetzt, oder will es jetzt.
Mein
Anspruch an 2016 war schließlich genau das. Alles zu spüren, Höhenflüge und ins
tiefste Loch zu fallen. Mutig sein, alles zu geben, zu vertrauen und nicht zu
vergessen. Ich glaube nur so kann man lernen. Das ist die einzige Möglichkeit,
zu verstehen, wer man ist und was man von sich selbst erwartet – und sich wirklich wünscht.
Wahrscheinlich
habe ich in meiner Jugend viel von dem verpasst, was andere in meinem Alter
haben konnten. Ich war 12 und auf einmal war ich erwachsen. Jetzt ist, das glaube ich wirklich, der
Knackpunkt für einen Prozess, der ins Rollen kommt. Auf eignen Beinen stehen,
das hört man so oft, scheint wohl Definitionssache zu sein. Bis vor Kurzem
dachte ich, das täte ich schon längst. Und jetzt? Jetzt bin ich hier,
Veränderung und Entwicklung statt Stillstand. Eventuell werde ich jetzt
erwachsen.